Gespräche auf Reisen über Grateful Dead, Teil 2

Rico @, Ludwigsburg, Samstag, 01. August 2020, 11:59 (vor 1336 Tagen)

Mai 2018, mit Christa in Los Angeles, wo unser Sohn Peter mit Familie damals beruflich hingeraten war.

"Peter hat über 'Amazon Prime' für eine begrenzte Zeitlang das Recht erworben, den vierstündigen Dokumentarfilm 'Long Strange Trip' auf seinem PC abzuspielen; und so sitze ich an mehreren Abenden – während die anderen, auf der Sofa-Landschaft hingelagert, der Lektüre, dem Smartphone oder dem Gespräch hingegeben sind – in der Ecke im Sessel, mit Kopfhörer, und verfolge mit heißen Wangen auf dem Tablet diese neue kluge, vielseitige, oft überraschungsvolle Nachzeichnung der dreißigjährigen Geschichte (1965 bis 1995) der von mir so geliebten Band, deren musikalisches Schaffen, seit zwanzig Jahren von mir gesammelt und studiert, ich als Seelen-Nahrung empfinde und empfange. Zu den vielen, die in Interviews über diese Gruppe Auskunft geben (unter anderem ein US-Senator), zählt ihr zeitweiliger Tour-Manager Sam Cutler, ein Engländer aus der Gegend um London. Seine vom Leben gegerbte und gefurchte Gesichtslandschaft zu betrachten fasziniert ebenso, wie dem eindringlich-rauhen Cockney-Idiom, womit er seine Anekdoten und Einsichten spendet, zu lauschen ..."

Und schließlich : Juni 2019, Jakobsweg-Wanderung mit Christa über die Pyrenäen. In der Herberge von Orisson, nach acht Kilometern steilen Aufstiegs von Saint-Jean-Pied-de-Port, habe ich auf der Terrasse ein langes Gespräch mit Roger,

"... einem sehnig-kräftigen Mannsbild (ungefähr meines Alters). Ich lade ihn ein, Platz zu nehmen. Aus welchem Staat der USA er komme? 'Texas! And I'm proud of it!' Die blauen Augen blitzen herausfordernd. Wir messen einander mit den Blicken; und siehe, wir sind uns sympathisch. Viele Menschen, sagt er, würden ja zusammenschaudern, wenn sie den Namen seines Heimatstaates vernähmen. 'Nö; ich hab nix gegen Texas. Dort gewesen bin ich zwar leider noch nicht, kenne bloß Los Angeles, San Francisco und New York. Aber ich weiß, dass es ein bedeutender Staat ist, mit ruhmreicher Geschichte. Und gute Leute stammten von dort : Janis Joplin zum Beispiel; die kam ja aus Port Arthur.' Oh yeah : dieser wunderbaren Blues-Sängerin bewahrt auch er ein kostbares Angedenken.

'Schmitt', habe er vorhin mitgekriegt, sei mein Name ? also so wie bei ihm zulande 'Smith' – na ja, auch er habe ja einen Allerwelts-Nachnamen : Johnson. 'Aber bedeutende Namensvettern haben Sie da : Robert Johnson zum Beispiel.' Schon wieder ein Blues-Musiker; diesmal ein schwarzer. Right : der ist auch seinem Herzen nahe; wie er überhaupt den Delta-Blues besonders liebt. Doch auch manches andere aus der amerikanischen Musik – Bob Dylan etwa. Er freut sich, dass ich diesen Songwriter seit fünfzig Jahren liebe, höre, sammle; und singt halblaut die Anfangsverse von dessen Lied 'She Belongs to Me' ... Ein großer, tiefer Poet sei Dylan, darin stimmen wir beide überein : keiner, der in seiner Musik politische Statements abgibt, sondern ein Künstler, und damit oberhalb politischer Streitfragen. Pete Seeger, ruf ich in Erinnerung, sei ja einst derart empört gewesen, als Dylan bei einem Festival erstmals die akustische Klampfe weggelegt und die Gitarre eingestöpselt habe, dass er ihm mit einer Axt das Stromkabel kappen wollte. Sei übrigens Seeger, dieser lebenslang aufrechte politische Protestsänger, nicht fast hundert Jahre alt geworden? 'Der war schon damals hundert Jahre alt', kommt es trocken zurück.

Ob Roger auch jene kalifornische Band schätze, deren seltsamer Name (... und so weiter; die Leser meiner Reiseberichte wissen Bescheid)? Klar schätzt er sie; und er hat die Grateful Dead in seinen jungen Jahren auch mal im Konzert erlebt, irgendwo in Illinois oder Missouri.
In Texas seien sie ja wohl nie aufgetreten, werfe ich ein ... Er weiß darüber nix; kann sich aber, so vermute ich, denken, dass das sehr konservative Klima seines Staates womöglich dieser kalifornischen Counterculture-Band nicht günstig gewesen sein mochte.

Jetzt im nachhinein, daheim in die CD-Sammlung greifend, stelle ich fest, dass ich mich sehr irrte und dass die Gruppe durchaus mehrmals in Texas gespielt hat; zum Beispiel in Austin. Diese Stadt – sagt das Booklet zu dem Mitschnitt ihres dortigen Konzerts von 11. November 1971 – 'was a lot looser and more tolerant than the rest of Texas, where kicking a hippie's ass was considered entertainment', und besaß 'the reputation as an oasis of peace and love in a desert of angry assholes spoiling for a fight'. Aber fort mit den Vorurteilen ! : Nicht weniger als zwanzig Konzerte, so entnehme ich einer Liste ihrer Shows, hat die Band im Laufe der Siebziger und Achtziger auch noch anderswo in dem vielgescholtenen Staat, also in the rest of Texas, gegeben : in Dallas, El Paso, Houston und San Antonio; auch in Fort Worth, Rogers Heimatstadt.

Muss ich also von hier daheim aus jetzt diesem US-Staat ein weiteres Mal Abbitte leisten, so hab ich schon seinerzeit auf der Terrasse meinem Gegenüber gesagt, dass ich einen berühmten fellow Texan (und Namensvetter) von ihm heute differenzierter sehe, als ich es früher tat : Lyndon B. Johnson, US-Präsident von 1963 bis 1969. Zu dessen bleibenden Verdiensten gehört, dass er die Civil-rights-Gesetze zur Gleichstellung der Bürger verschiedener Hautfarbe endlich verankerte. Mir gefällt auch – so erzähle ich Roger –, wie Johnson im Herbst 1965, als der Orkan Betsy die Stadt New Orleans heimgesucht hatte, sofort noch in der Nacht dorthin eilte, eine Notunterkunft betrat, dem Stromausfall trotzend seine Taschenlampe auf sein Gesicht lenkte und dröhnte : 'My name is Lyndon Baines Johnson. I'm your goddam president and I'm here to tell you that my office and the people of the United States are behind you!' (Als der Hurricane Katrina vierzig Jahre später New Orleans verwüstete, dauerte es dagegen fünf Tage, bis Präsident George W. Bush die Stadt besuchte, und nach wenigen Stunden wieder verließ ...)"

Und ganz zum Schluss : Obwohl es einen Besuch in San Francisco 2017 gegeben hat, ließ sich ein Vorhaben leider nicht verwirklichen, das ich am Ende eines anderen Reiseberichts, auf unsere USA-Reise vorausblickend, so skizziert hatte:

"Und sollte uns der Weg von L.A. nach San Francisco mit dem Auto an Palo Alto vorbeiführen, so möchte ich auf dem Friedhof 'Alta Mesa Memorial Park' (wo unter anderen der Internetpionier Steve Jobs und die Schauspielerin Shirley Temple ruhen) eine Rose auf der Grabplatte von Ron McKernan niederlegen, dem Mitgründer und ersten Keyboarder meiner Lieblingsband. Der dort im Relief aufgeführte Satz in Großbuchstaben bezeichnet. doppelsinnig, zugleich ihn als einen in Dankbarkeit für sein Leben Gestorbenen, und den Namen der Band: HE WAS AND IS NOW FOREVER ONE OF THE GRATEFUL DEAD."

(Die Rose hab ich dann auf dem Rosedale Cemetery in Los Angeles auf das Grab des Jazz-Saxofonisten Eric Dolphy gelegt.)

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